Donnerstag, 31. Dezember 2015

Leseecke: Bodentiefe Fenster

Lange schon kein verstörendes Buch mehr gelesen? "Bodentiefe Fenster" von Anke Stelling zieht dich bestimmt runter. In dem Roman analysiert die 40-jährige Mutter Sandra das Leben ihrer Mitmenschen. Dabei ist sie bitterböse. 

"Isa wird zugrunde gehen, sie wird in der Klappsmühle enden, die Kinder tot oder ebenfalls in der Klappsmühle oder knapp entkommen, aber nur fürs Erste, nur so lange, bis sie selbst Familie gründen, dann geht´s noch mal von vorne los."


Von vorn: Sandra bewohnt mit ihrem Mann und zwei Kindern ein Mehrgenerationenhaus in Berlin Prenzlauer Berg. Klingt nett. Sie genoss eine liberale Erziehung und das Highlight ihrer Kindheit war eine Geburtstagsparty: Bunt und wild im Pippi Langstrumpf-Stil turnten die Kinder durchs gesamte Elternhaus, bespielten oder verwüsteten es, ganz wie sie wünschten. Jahre später spielen sich die Partys noch immer ab, doch Sandra nerven die Freundinnen und Nichtfreundinnen. Sie gibt sich weiterhin wild und frei. Wie alle anderen.

Bloß keine Konflikte.
Die "Bodentiefen Fenster" hängen im Mehrgenerationenhaus. Inzwischen weiß Sandra, dass die Pippi Langstrumpf-Kindheit nur "nostalgische Verklärung" ist und sie die Idee ihrer Eltern nicht weiterverfolgen kann. Dennoch lebt sie offen und lässt jeden durch ihre Fenster blicken. Sie verschließt keine Türen. Sich selbst allerdings schon. Sandra spielt weiter, gibt sich frei und unkompliziert, läd eine vierköpfige Familie zu sich ein, um mit ihr anzugeben. Was für Freunde sie hat. Schaut mal! Freunde mit 4 Kindern, wie wunderschön. Sandra genießt den Eindruck, den sich andere von ihr machen. Wie kaputt ihre Freunde sind, verschweigt sie.

Alle sind kaputt. 
Eine Freundin erleidet einem Burnout. Sandra denkt darüber: "Das muss man sich (...) auch leisten können, schlappzumachen, aber das sage ich nicht, weil ich versuche, mich solidarisch zu zeigen. Ich schweige und nicke und gucke besorgt; ich weiß, wie man das macht, ich lebe im Gemeinschaftshaus."

Am kaputtesten - und das zeigt sich hier bereits - ist Sandra selbst. Sie vergleicht sich. Bald wird ihr Zynismus unerträglich.

"Ich hätte keine Kinder in die Welt setzen dürfen".
Seite um Seite um Seite spricht sie davon. Der Satz nutzt sich ab. Sind nun die Kinder Schuld an Sandras psychischer Situation? Vor lauter Erschöpfung gibt sie keine Antwort darauf.

Das Buch ist bestürzend. Stelling zeichnet das Bild einer gestörten Generation nach, die alles richtig machen will. Die äußerlich glänzt und sich als perfekt darstellt: So tolle Eltern sind wir!  
Doch innerlich kriechen alle zerbrochen, ängstlich und allein am Boden.

Im Grunde liefert der Roman gar nichts neues.  Wir wissen bereits, dass sowohl die Business-Mum als auch der Neue Vater völlig überlastet sind. Und dass man Mutterschaft bereuen kann. 

Der zynische Blick, klar, der unterhält uns anfangs. Gut geschrieben ist die Geschichte ebenfalls und uns stockt der Atem, dass es Väter geben soll, die Heiligabend per SMS ankündigen, zur Bescherung nicht zu kommen. Obwohl sie im Nebenraum sitzen.
Es macht grundsätzlich Spaß, anderer Leute Leben unters Mikroskop zu legen und zu kichern. Deswegen: Schlecht ist das Buch nicht. Nur die Quintessenz fehlt. Sind wir echt alle verloren? Hätten wir lieber keine Kinder bekommen sollen?

Ich wünsche mir, dass Sandra diese bodentiefen Fenster zerbricht. Mach kaputt, was dich kaputt macht. Sie erkennt ihr Dilemma und macht nichts außer zu jammern. Das macht mich wahnsinnig!

Ich bin gespannt, wie ihr es findet? Berichtet!

2 Kommentare:

  1. Klingt interessant. Als ich das bei amazon nachgeschlagen habe, war ich über den Namen des Verlags amüsiert. ^^ Das passt so gut. 19 euro finde ich aber schon viel geld - klar ist eine gebundene Ausgabe. Ich habe es mir erst mal auf meine Wunschliste gesetzt und hoffe es eines Tages in diesem Jahr zu kaufen(habe mir geschworen in den ersten 6 Monaten des Jahres kein Buch zu kaufen, weil mein Stapel von ungelesenen Büchern erst abgearbeitet werden muss XD).
    ich kenne auch eine, die hat ständig was an meiner Erziehung herum zu meckern. Die merkt leider auch nicht dass sie ein psychisches Problem hat. Leider. Wieso sollte sie sonst zu einer Freundin sagen: "Komm aber nicht zu mir und heule, wenn dein Kind dann doch von der Straße geschnappt wird." - nur weil sie es nicht gut findet dass ich mein 4,5 Jahre altes Kind vor der Tür mit Kreide malen lasse - allein. Die Bedingungen und das wir das seit fast 1 Jahr sehr erfolgreich üben, war ihr egal...

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    1. Krasse Aussage deiner Freundin :-O Ich finde das nicht okay, sowas zu sagen, auch wenn sie es nicht gut findet.

      Mir hat das Buch mein Mann zu Weihnachten geschenkt, von daher war es finanziell kein Problem. Ich kann dir zu einem Büchereiausweis raten, in unserer Bibliothek leihe ich auch oft Bücher aus, die mir zu teuer sind oder in die ich vielleicht sowieso nur reinlesen wollte.

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