Freitag, 19. August 2016

Blogparade "Mama ausgebrannt - Wege aus der Krise"

Magna-Mater ruft auf zur Blogparade Mama ausgebrannt - Wege aus der Krise und beschäftigt sich mit einem wichtigen Thema: Erschöpfungszustände und postpartale (postnatale) Depressionen bei Müttern. Da mir solche Themen immer wichtig sind und ich mich selbst als betroffen einschätze, mache ich doch gerne mit und hoffe auf weitere Folgebeiträge, um die Problematik bekannter zu machen!

Wie Melanie Couson (hier ihr Beitrag zur Blogparade) erkannte ich lange Zeit nicht, dass mich eine postpartale Depression im Griff hatte. Ich konnte meine permanente Erschöpfung der ersten 1,5 Jahre nach der Geburt von Sohn Nr.1 auf die damaligen Lebensumstände zurückführen: erst die Frühgeburt vom Kind, die Komplikationen vom Kaiserschnitt, der direkte Umzug nur wenige Monate später in ein zu renovierendes Eigenheim und der damit einhergehende Verlust meiner gewohnten Umgebung und nicht zuletzt das niemals schlafende Kind (Wieso schläft er nicht?).

Ich war so erschöpft. Erschöpft in dem Sinne, dass ich schon beim bloßen Gedanken daran, mich zu irgendwas aufraffen zu müssen, am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. Der Alltag lief aber, das Kind wurde von mir versorgt, ich lotterte nicht total rum und „nebenbei“ stemmte ich tatsächlich einiges: zwei Umzüge, den kompletten Haushalt alleine und einen Hauskauf plus der Renovierung.

Das wäre schon unter normalen Umständen viel, direkt nach der umwälzenden Erfahrung, ein Kind zu bekommen, war das aber tatsächlich unmenschlich. Und ich bekam keine Hilfe. Niemand sah die Belastung oder hatte Verständnis für Gefühle der Überforderung.

Das Arbeitstier Mutter

In einer Gesellschaft, in der wir selbstbestimmt Kinder in die Welt setzen können und „es uns doch gut geht“, gibt es ja schließlich keinen Grund zu klagen. Im Gegenteil, merkte ich an, wie anstrengend etwas sei, wurde ich für solche Aussagen abgestraft.
  • "Dann hättest du kein Kind bekommen sollen.“ (oder das zweite nicht, wie aktuell gerne angemerkt wird)
  • "Ich weiß gar nicht, was du hast. Früher haben wir das auch geschafft."
  • "Andere gehen noch zusätzlich arbeiten oder sind alleinerziehend."
  • "Dein Kind ist doch gesund/so süß/artig/unproblematisch."
  • "Du musst einfach öfter rausgehen.“

Laut meines direkten sozialen Umfeldes hatte ich also keinen Grund, mich schlecht zu fühlen. Im Gegenteil wurde der Mann eher bemitleidet und natürlich extrem dafür hofiert, was ER alles leistete. Den Vollzeitjob, nach Feierabend das Eigenheim renovieren, in seiner „Freizeit“ mit dem Kind spielen und dann AUCH NOCH Kochen (bester Spruch meiner Schwiegermutter).

Der arme Kerl. Als er vor mir stand und wagte, ebenfalls unglücklich mit der Situation zu sein, hätte ich ihn am liebsten verlassen. Ich fühlte mich unsichtbar, niemand achtete auf mich, auf meinen Zustand oder meine Bedürfnisse. Zu dem Zeitpunkt hatte ich nämlich schon seit fast einem Jahr das Gefühl, mich komplett verloren zu haben, ein halbes Jahr später konnte ich vor Schwindel morgens kaum noch aufstehen. Aber eine postpartale Depression? Daran habe ich nie gedacht.

Hätte ich mein Kind nicht annehmen können oder eine explizite Ablehnung ihm gegenüber empfunden, wäre mir vielleicht klar gewesen, dass irgendwas nicht stimmt.

Wie es mir ging

So aber fühlte ich mich schlicht ausgebrannt und hatte weder Energie, noch Interesse oder Freude an irgendwas. Ich ging nur noch raus, um meinen Sohn in die Krippe zu bringen und ihn abzuholen. Mich mit anderen Menschen außer ihm auseinandersetzen zu müssen, war pure Quälerei. Nach Treffen mit Freunden oder der Familie – was ja eigentlich eine Wohltat sein sollte – musste ich mich erstmal eine ganze Woche von so viel Aufwand erholen. Denn eigentlich wäre ich am liebsten zusammengrollt auf dem Boden liegen geblieben. Nach anfänglicher Euphorie darüber „mal rauszukommen“, besuchte ich schnell keine Krabbel- oder Mutter-Kind-Kurse mehr. Das war mir schlicht zu anstrengend.

Die körperlichen Auswirkungen waren ebenfalls enorm: ständige Kopfschmerzen, heftiger Schwindel, ich habe kaum gegessen und war wirklich ständig gereizt (alles Symptome einer postpartalen Depression). An sehr schlechten Tagen brüllte ich mein Kind an, an den meisten anderen zickte ich meinen Mann an. Teilweise sah ich die Schuld bei ihm, wollte er doch auch eine Familie haben, aber ich war diejenige, die sich um alles zu kümmern hatte. Ich fühlte mich allein gelassen mit allem und hatte trotzdem nie Ruhe.

Obwohl wir vorher eine gleichberechtigte Partnerschaft führten, fielen auch wir in die traditionellen Rollen zurück. Ich habe jede Minute davon ehrlich gehasst, da mir gleichberechtigte Anteile an Familien- und Erwerbsarbeit immer wichtig waren.

Trotzdem war der Gedanke daran, irgendwann wieder arbeiten gehen zu müssen, der bloße Horror. Schließlich brauchte ich zu dem Zeitpunkt alleine schon drei Stunden nach dem Aufstehen, um überhaupt in die Gänge zu kommen. Trotz der Masse an Zeit rannte ich ihr hinterher, die Tage zerflossen in einem gefühlten Einheitsbrei und die Relevanz jeder Tätigkeit nahm ab. Ob ich etwas jetzt, morgen oder nächste Woche erledigte, wen interessierte es? Wischte ich den Boden in den heiligen 30 Minuten Mittagsschlaf vom Kind, kleckerte es danach eh wieder alles voll. Außerdem trampelte jeder andere männliche Familienangehörige am Abend sowieso mit Baudreck durchs Haus.

Also ließ ich es. Und es fiel nicht auf. Das Hamsterrad aus stundenlanger Hausfrauenarbeit, die erstens niemand bemerkt (und schon gar nicht würdigt) und zweitens am nächsten Tag von vorne losging, frustrierte mich enorm. Die Sinnlosigkeit des Tuns sorgte dafür, dass ich gar nichts mehr tat. Ich dachte, ein Kind zu bekommen, würde meinem Leben den finalen Sinn geben, statt dessen fragte ich mich jeden Tag, welche Bedeutung das alles haben soll. Ich fand mein Leben ziemlich ätzend und nur weil das Kind wirklich so wundervoll ist, schrie ich nicht laut "Jawoll!" als die ganze #regrettingmotherhood Diskussion aufkam.

Aber ich verstand diese Mütter aus tiefstem Herzen. Ich empfand die abverlangte Aufopferung, das stetige Zurückstellen der eigenen Wünsche und Bedürfnisse bei gleichzeitig permanenter Kritik und Herabwürdigung meines Tuns mehr als nur frustrierend. Sogar eher niederschmetternd.

Dazu diese ständige Müdigkeit.

Trotzdem konnte ich nachts nicht schlafen. Zwar schreckte der Sohn regelmäßig auf, aber auch in längeren Schlafphasen versäumte ich Erholung, in dem ich unruhig neben ihm wach lag (ein weiteres Symptom einer postpartalen Depression).

Da dachte ich noch, würde sich der Nachtschlaf wieder einstellen, würde es mir auch endlich besser gehen. Also probierten wir alles Mögliche, um das Kind ins Bett zu kriegen. Vor 1,5 Jahren hatten wir nach totaler Erfolglosigkeit einen Beratungstermin am Deutsch-Dänischen Institut für Familientherapie in Brandenburg. Dort wurde mir in aller Deutlichkeit gesagt, dass ich die Ursache für das schlechte Schlafen meines Kindes war. Dass es mir schlecht ginge und ich mich erstmal wieder um mich kümmern müsse (hier der Post dazu), bevor sich die familiäre Situation entspannen könne. Damals konnte ich das nicht wirklich nachvollziehen.

Jetzt, im Nachhinein betrachtet, muss ich zugeben, dass die Therapeuten dort Recht hatten.

Mein Weg aus der Depression

Obwohl ich der Diagnose der Therapeuten in Berlin anfangs nicht zustimmte, änderte ich trotzdem einiges an meiner Lebenssituation. Ich forderte Hilfe ein und traf wieder selbstbestimmte Entscheidungen. Ich arbeitete auf, was mich belastete und beschäftigte mich mit mir selbst. Anstatt mich nur um das Kind zu drehen und mich zur gefühlten Bedürfniserfüllerin für ALLE anderen Familienangehörigen denunzieren zu lassen, nahm ich mir ab da, was ich brauchte.

Die gesamte Auseinandersetzung mit der Frühgeburt meines Sohnes war ein harter Weg. Ich fühlte mich auch knapp 1,5 Jahre danach immer noch schuldig und war überzeugt davon, dass er Schaden davon getragen hatte (noch so ein Symptom...).

Dass ICH eigentlich diejenige war, die dadurch beschädigt ins Familienleben startete, wurde mir aber erst mit der zweiten Schwangerschaft bewusst. Das zweite Kind bekommen zu wollen, war gefühlt die erste selbstbestimmte Entscheidung seit Jahren und setzte meinen Heilungsprozess in Gang.

Endlich positive Bestärkung

Mir half die Begleitung meiner Hebamme durch die zweite Schwangerschaft sehr. Sie arbeitete mit mir die erste auf, erklärte mir die Zusammenhänge zwischen meiner Gefühlslage und dem Erlebten (auch wissenschaftlich fundiert – das half mir mehr als jede esoterische „Herzverbindung-Bonding-Gedöns-Geschichte“) und das Wichtigste: bestärkte mich positiv in so ziemlich allem, was ich tat und vorhatte. Meine Rolle als Mutter wurde in ihrer Relevanz und Wichtigkeit hervorgehoben anstatt wie im bisherigen Familienleben zur Randerscheinung zu verkommen.

Das war komplett neuer Wind in meinem Leben. Ich fasste den Mut, wieder mehr auf mich zu hören und durchzusetzen, was mir wichtig war.

Dass ich meinen zweiten Sohn selbstbestimmt und außerklinisch zur Welt bringen konnte, war für mich die finale Versöhnung mit dem Ablauf und dem Ende der ersten Schwangerschaft. Ich fühlte mich auch ganz anders. Endlich war ich wieder bei mir, mir meiner Selbst bewusst und war wie aus einem Nebel aufgetaucht. Ich hatte wieder Kraft und Energie - trotz Stillkind, was ja auch körperlich sehr anstrengend war. Obwohl ich mich vorher ständig niedergeschlagen fühlte, erlebte ich nach der Geburt von Sohn Nr. 2 einen ganz anderen Hormonrausch. Ich war voller Energie und ihr Fehlen in den gesamten Jahen davor wurde mir dadurch erst richtig bewusst. Da wurde mir zudem auch erst bewusst, wie fremdbestimmt ich seit der Geburt von Sohn 1 durch mein Leben geschubst wurde. Erst von den Ärzten im Krankenhaus, danach von den Kinderkrankenschwestern in der Kinderklinik und dann von meiner Familie.

Also sagte ich NÖ, das musste aufhören. Endlich hatte ich wieder Kraft, für mich selbst einzustehen.

Nein zu anderen, Ja zu mir selbst sagen

Nach der Geburt von Sohn 2 setzte ich alles daran, wieder zurück in die Art von Leben zu finden, die mir persönlich immer wichtig war. Ich hatte konkrete Punkte, die ich umsetzen konnte:
  • Endlich wieder arbeiten, und zwar meiner Profession nachgehen und nicht „nur“ Dazuverdienen
  • weg vom Land und wieder zurück in die Stadt ziehen
  • Wegstreichen, was unnötig Zeit und Nerven kostet: dazu gehörte unser Eigenheim 
  • Als Eltern und Ehepaar wieder an einem Strang zu ziehen und unsere Vorstellungen von Familienleben unabhängig der gängigen Konventionen und Hindernissen durchsetzen

Seit zwei Monaten machen wir das alles. Ich habe einen Job in der Forschung gefunden, wir sind zurück in die Stadt gezogen und mein Mann hat die Elternzeit übernommen.

Zwar stecken wir gerade im absoluten Umzugsstress und haben auch mit einigen Unsicherheiten und Problemen zu kämpfen, trotzdem erlebe ich nicht mehr eine Sekunde die Gefühle von Gefangensein, Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit. Obwohl unser Leben – rein objektiv betrachtet – um etliches anstrengender geworden ist.

Auf Grund dieses Vergleiches bin ich im Nachhinein wirklich überzeugt, nach der Geburt von meinem ersten Kind unter einer postpartalen Depression gelitten zu haben, die durch die zweite Schwangerschaft irgendwie ausgebrannt wurde. Nach der Geburt von meinem zweiten Sohn erlebte ich nicht einen Tag Babyblues, wohingegen sich die 2,5 Jahre davor wie ein ständiger anfühlten.
Und trotz unzähliger Arztbesuche, Gespräche im Freundes- und Familienkreis und unserer Vorindikation (die Frühgeburt des Kindes bewirkt ein erhöhtes Risiko), wurde die Möglichkeit nicht einmal in Erwägung gezogen.

Und das finde ich schon ziemlich…bemerkenswert. Im unguten Sinne.


Deshalb hoffe ich, mit meinem Beitrag zur Blogparade einen kleinen Beitrag zum Bekanntwerden dieser Problematik leisten zu können! Fühlt euch bitte frei, von euren Erfahrungen zu berichten und die Blogparade bekannter zu machen! Gerne veröffentliche ich euren Post auch anonym oder als Gastbeitrag, wenn ihr keinen eigenen Kanal dafür habt :)!

7 Kommentare:

  1. Danke für deinen wunderbaren, ehrlichen Artikel. Er hat mich sehr berührt.

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  2. Vielen Dank für Deinen Artikel!
    Eine Frage habe ich: was genau meinst Du mit "esoterische "Herzverbindung-Gedöns-Geschichte"?
    Schön, dass Eure Hebamme Euch so kompetent begleitet hat und nachhaltig helfen konnte.
    Alles Liebe,
    Isabel

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    1. Hallo Isabel,
      danke für die Blogparade <3!

      Ich habe damals ein Re-Bonding versucht, neben Heilgesprächen auch Heilbäder durchgeführt, um die Herzverbindung zu reparieren. Das hat überhaupt nicht funktioniert, aber vielleicht lag es auch daran, dass ich keine kompetente Begleitung dafür hatte. Alle homöopathischen Behandlungsversuchen waren ebenso erfolglos, leider.

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  3. Ein ganz toller Artikel! Ich bewundere Deinen Mut all diese Riesenschritte gegangen zu sein! Aber nur so geht's - wenn man im falschen Leben ist, muss man raus. :-)Wie schön, dass Du auf Dich gehört hast und es Dir jetzt so gut geht!
    Liebe Grüße,
    Melanie

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    1. Danke dir, da hast du Recht! Damit hast du es ziemlich gut auf den Punkt gebracht :). Das falsche Leben.

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