Mittwoch, 20. Mai 2015

Die taxifahrende Geisteswissenschaftlerin

Seit meiner Elternzeit finde ich keine Stelle mehr. Mit einem Magisterabschluss in Geisteswissenschaften habe ich dabei natürlich ständig die Unkenrufe im Hinterkopf, die ich schon während meines Studiums hörte: Ich würde eh nie eine Stelle finden und muss am Ende als überqualifizierte Taxifahrerin mein Geld verdienen.

Doch zuerst lief alles nahtlos. Sogar in der Zeit zwischen Abschlussphase und "richtigem" Arbeitsbeginn fand ich einen guten Job und überbrückte problemlos die drohende Arbeitslosigkeit. Mit einer 1 vor dem Komma auf meinem Magistra Artium-Wisch in Vergleichender und Allgemeiner Sprachwissenschaft, Soziologie und Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft wollte mich meine Heim-Uni direkt behalten. Gut, die Arbeitsbedingungen waren nicht so pralle, das Gehalt dafür umso besser und ich konnte mein Ziel, den Doktortitel vor 30, ehrgeizig anstreben. Für mich als Arbeiterkind und erste der Familie mit einem Hochschulabschluss quasi der Ritterschlag.

Die Vereinbarkeitslüge

Mit Beginn der Schwangerschaft fand ich aber meine Stelle an der Universität in Lehre und Forschung nicht mehr besonders familienfreundlich. Zu lange Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden, Stress, unsichere Aussichten auf Vertragsverlängerung und schließlich Druck von allen Seiten: Ich hatte es ja so gewollt (das Kind), ich müsste es nur noch mehr wollen (die Karriere), ich sollte mich doch mal entscheiden, was ich will, usw. . Wofür habe ich denn schließlich studiert?

Jeder hatte eine Meinung zu meiner Familienplanung. Kolleginnen, die meinen Mut bewunderten (Zitat: "Ich würde mich das nicht trauen!"), Kolleginnen, die meinen Mut kritisch sahen (Zitat: "Na, hoffentlich bereust du das in zehn Jahren nicht!"), die Chefin, die den Zeitpunkt bestimmen wollte (Zitat: "du kannst doch auch erst nach der Promotion das erste Kind bekommen!"), meine Familie (Zitat: "Du und ein Kind? Sicher?"), die Politik, die Personalabteilung, meine Ärztin (Zitat: "Sie müssen schon selbst wissen, ob Sie das riskieren wollen!") und schließlich die Gesellschaft. Denn nein, Kinderkriegen ist keine Privatangelegenheit, aber Ausbaden muss man es dann schlussendlich sehr privat.

Also rotierte ich noch mehr, um alle Seiten zufrieden zu stellen und gleichzeitig dem Anspruch an mich selbst ("Kind und Karriere muss möglich sein") gerecht zu werden. Ich hetzte durch die Schwangerschaft und bekam die Quittung: vorzeitige Wehen und Frühgeburt.

War es das wert, hat es sich gelohnt? Nein. Definitiv nicht. 

So oder so hat es mir die Augen geöffnet und meine Prioritäten sortiert. Ich jammerte schließlich nicht als einzige über die schlechten Arbeitsbedingungen an der Uni und über die Schwierigkeit, nach dem Studium irgendwie Kind und Karriere hinzubekommen. Also Aufgeben und nichts am System ändern? Die Niederlage eingestehen? Die Entscheidung fiel mir sehr schwer, aber ich sagte Nein, ich will da nicht mehr mitmachen.

Mut zum Nein-Sagen und zum Neubeginn

Also stieg ich aus und orientierte mich um. Nur wohin? Das war und ist die Frage. Ein festes Ziel, auf das man fast zehn Jahre hingearbeitet hat, auf einmal komplett ad akta zu legen, ist nicht leicht für die Selbstfindung. Und alle Stellen, die für mich mit meiner Fachrichtung (erstmal augenscheinlich) in Frage kommen, haben die Arbeitsbedingungen, die ich nicht mehr wollte: geforderte Flexibilität (mit Kind schwierig), ausschließlich befristete Verträge für meistens ein Jahr (mit Familie, die man ernähren will, zu unsicher), hohe Anforderungen (mit schlecht schlafendem Kleinkind unmöglich zu erfüllen) und meisten hauptsächlich Teilzeitangebote.


Soll ich also morgens aus dem Haus hetzen, das Kleinkind zur Krippe drängen (ob krank oder schlecht drauf oder schlecht geschlafen oder oder oder), auf den wenigen Stunden, die mir auf der halben Stelle zur Verfügung stehen, mehr als alle anderen arbeiten, damit a) nicht der Eindruck entsteht, als Mutter sei man nicht arbeitsfähig, b) man das Pensum schafft, für das die anderen Kollegen die doppelte Zeit zur Verfügung haben (oder einfach Überstunden nehmen) und c) meine nächste Vertragsverlängerung nicht gefährdet ist, um rechtzeitig wieder zurück zu hetzen, weil das Kind schon wartet? Um dann nicht erschöpft auf der Couch zu liegen, sondern Sohnemann adäquat zu betreuen?

Ja, die Fragen nach beruflichem Anschluss, nach meiner Rente, finanzieller Sicherheit, emanzipierter Partnerschaft, dem Wohl der Familie und nicht zu vergessen: Selbstverwirklichung stehen im Raum. Das böse S-Wort und Kreuz der Generation Y. 

(Über Hobbys und Teilhabe am sozialen Leben brauchen wir gar nicht reden.)


Wir sind ja selbst Schuld, da wir alles gleichzeitig wollen. Hochqualifiziert und vom Perfektionismuswahn getrieben, hetzen wir durch unsere Rush Hour des Lebens und jammern dabei auf hohem Niveau. Das sind doch ausschließlich (Luxus-)Probleme der Wohlstandsgesellschaft, hören wir dann: wir kennen keinen Krieg, keinen Hunger, aber empfinden unser Leben als anstrengend, hart und teilweise ungerecht.


Ein bisschen weniger Ego und ein bisschen mehr Work-Life-Balance täten uns ganz gut, so schallt es von allen Seiten. Vor allem von unserer Eltern-Generation, die nichts von unsicheren Arbeitsverhältnissen und den Erwartungen an uns verstehen. Lehne ich mich zurück und bin Hausfrau und Mutter, bin ich eine Schande für die Emanzipation und habe mein Studium verschwendet. Versuche ich trotz Kind erfolgreich irgendwo zu arbeiten, bin ich eine Rabenmutter, die ihr Kind ausschließlich wegorganisert. Und wo steht der Kindsvater in diesen Überlegungen? Da er sich selbst nie erwähnt und in gesellschaftlichen Überlegungen ebenfalls nie zu Wort kommt, mache ich das auch nicht. Mit den Gedanken und Überlegungen bleibe ich also alleine.

So oder so werden wir für unsere Entscheidungen kritisiert. Das kann einen belasten oder - dafür habe ich mich nun entschieden - befreien. Schließlich spielt es keine Rolle, was ich tue. Kritisiert werde ich eh und Ausbaden muss ich es selbst.


Ein bisschen mehr Egal-Haltung im Bezug auf die Erwartungen (eigener und die anderer) und mehr Mut zu eigenen Wegen, ist vielleicht der einzige Ausweg aus der Tretmühle.

Aus der Not eine Tugend machen

Das Leben mit Kind stellt alles auf den Kopf, sortiert die Prioritäten um und verändert vieles. Warum diese Zeit nicht nutzen, um sich selbst ebenfalls neu zu finden und sich ein paar grundlegende Fragen stellen. Also zurück zum Anfang. Was will ich eigentlich? Was muss ich tun, um das zu erreichen? Was KANN (und will) ich dafür aber noch leisten?

Wann, wenn nicht jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um neue Wege einzuschlagen und Träume zu verwirklichen, die man vielleicht immer schon gehabt hat? Also habe ich in den letzten Monaten an ein paar Ideen zur Selbstständigkeit gebastelt und versuche nun, alle Kompetenzen (die ich so finden konnte) zu kombinieren.

Ich schreibe ein Buch. Für Kinder. Eins, das ich mit meinem eigenen Kind lesen würde.




In den nächsten Wochen will ich euch mein Buchprojekt vorstellen und an meinem Versuch, mich damit selbstständig zu machen, teilhaben lassen. Mit Glück (und Ehrgeiz und Energie), wird es eine Blog-Serie, an deren Ende ein fertiges Buch steht. 

Aber wem geht es ähnlich seit dem Studium? Wer von euch stand vor denselben Problemen und hat einen Neubeginn gewagt?

5 Kommentare:

  1. Oh das finde ich toll! Dazu will ich dir ein tollen Blog verlinken, der dir dabei helfen kann damit geld zu verdienen und "vom schreiben zu leben": http://www.vomschreibenleben.de/

    Gehst du auch unter die Indie-Autoren (wie ich) oder hast du vor, dir einen Verlag zu suchen?

    Ich habe lange gebraucht um nach der Geburt meines Kindes überhaupt zu entdecken was ich will und wie meine berufliche Lage aussehen soll. Ich wurde jung und arbeitslos Mutter. Jetzt habe ich inzw. 2 Kinder und arbeite freiberuflich als Texterin. Nächstes Jahr bringe ich mein 1. Buch heraus und gehe unter die Self Publisher. Aber ich hätte es wohl nicht gekonnt ohne das nötige Geld. Ich habe mir nach der Geburt des 2. Kindes das Elterngeld zurück gelegt, so dass ich mir die Autorenschule leisten konnte und etwas Geld für das veröffendlichen des 1. Buches zusammen habe. Weil mir das Fernstudium und das autoren-sein nicht ausreicht und ich JETZT Geld verdienen will, habe ich es gleich mit dem Beruf des Texters und Ghostwriter verbunden und verdiene seit neustem kleines Taschengeld damit.
    Ich persönlich verrate nicht zu viel von meinem Projekten weil ich auch irgendwie Angst habe, dass mir jemand den Titel oder eine Figur oder die Buchidee an sich einfach wegschnappt.

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    1. Danke für den Link, da werde ich mich mal umsehen :)!
      Ich habe in meiner Elternzeit auch nebenbei als Lektorin und Texterin gearbeitet und würde, wie du, lieber selbst verlegen. Im Endeffekt plane ich es ähnlich, die Elternzeit nutze ich für Weiterbildungen und den Aufbau meines eigenen kleinen Verlages - mit meinem Mann zusammen.

      Zum Ideenklau: Da hast du auch Recht, aber ich überlege auf der einen Seite, mit Crowdfunding oder mit der Hilfe eines Investors zumindest die erste Auflage zu finanzieren. Und dafür muss ich so weit es geht, die Idee präsentieren. Ansonsten werde ich auch sparen und hoffen, die Buchidee in ein bis zwei Jahren verwirklichen zu können. Das ist ein ziemlich langer Weg, aber es lohnt sich, oder :)?! Dir auch ganz viel Erfolg!!!

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  2. Das klingt nach einem tollen Plan! Ich bin sehr gespannt, wie es sich entwickeln wird :)

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  3. Mir geht es zwar nicht ähnlich, aber ich bin sehr gespannt auf dein Buchprojekt und werde es begierig mitverfolgen.

    Viele Grüße
    Nina

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