Freitag, 22. Januar 2016

Leseecke: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind

Oder: Warum die Autorin an unseren Nerven sägt.
Lehnt euch zurück, trinkt euren Chai Latte und setzt einen Hut voller Humor auf den Kopf, wenn ihr "Warum französische Kinder keine Nervensägen sind" zu lesen beginnt. Französisch erziehen heißt, perfekt erziehen. Französische Kinder schlafen schließlich mit 3 Monaten durch und sie bleiben höflich sitzen, während im Restaurant ein 3-Gänge-Menü serviert wird (von dem sie alles mitessen). Und die Mütter dieser zivilisierten Geschöpfe wuppen supersexy Beruf und Mutterschaft. Alles easy, alles französisch, alles klar...

Wir wissen inzwischen alle, dass es keinen simplen "Trick" gibt, der Kinder in wohlerzogene Madames und Monsieuers verwandelt. Da kann uns Pamela keinen Bären aufbinden. Mit den Grundpfeilern des Buches stimme ich aber durchaus überein: Sich in Geduld zu üben, tut Kindern gut und sie sollten auch Frustrationen auszuhalten lernen. Wenn ein Kind ein Problem hat, sollte man ihm die Möglichkeit geben, die Lösung allein zu finden. Wenn es diese nicht findet, hilft man natürlich. Das ist schon das "französische" Geheimrezept. Die Kinder nerven und quengeln dann nicht mehr, da sie ihre Bedürfnisse selbst steuern, was sie dauerhaft zufriedener macht.

Erziehe ich nicht eh "französisch"?
Mit mehreren Kindern erzieht man ohnehin französisch, meine ich. Schon weil es gar nicht anders umzusetzen ist. Da müssen Kinder auch mal warten. Man schafft es nicht, die Bedürfnisse mehrerer Kinder gleichzeitig sofort zu erfüllen (ich habe Hunger, ich will auf den Arm) und dann beispielsweise auch noch zu kochen.

"Französische Experten betrachten die Fähigkeit, ein Nein zu tolerieren, als wichtigen Schritt in der Kindesentwicklung. Dadurch lernt das Kind, dass es noch andere Menschen mit eigenen Bedürfnissen gibt, die genauso wichtig sind wie seine."

Von daher bringt das Buch nichts neues auf den Tisch.
Es formuliert viele Themen aus Elternsicht und beschreibt nicht vorrangig die Bedürfnisse des Kindes, sondern die der Eltern. Letztlich profitieren laut Pamela Druckerman aber sowohl Eltern als auch Kinder von der französischen Erziehung, da Geduld und Frustrationen, mit denen ein Kind umgehen muss, nicht unglücklicher, sondern sogar glücklicher machen.

Schön an dem Buch ist das viele Reden über leckeres Essen. Da regt sich der Appetit und man möchte sich eine Scheibe abschneiden. Nicht schlecht gemacht.

Ziemlich bekloppt hingegen finde ich die Annahme, dass die Franzosen die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Das Bild der sexy Französin mit drei Kindern und Full-time-job knittert, auch wenn die Betreuung in Frankreich sicherer gestellt ist als bei uns. Easy ist das trotzdem nicht. Beruf, Familie, Beziehung. Da machen uns die Französinnen nichts vor.

Was mich irritiert: Hangeln französische Eltern nicht mit ihren Kindern auf dem Klettergerüst? Warum gehen sie so sparsam mit Lob um? Hier verwischt das Bild der lockeren Franzosen und gibt die Strenge wider, die sich zunächst versteckt. Französisch erziehen heißt wohl auch: ernsthaft erziehen.

Alles in allem schildert die Autorin ihre persönlichen Erfahrungen mit den Franzosen. 
Das ist ganz nett zu lesen. Im Großen und Ganzen nervt es aber. Pamela Druckerman lässt sich von einem Bild blenden, dass es so nicht geben kann. Nobody ist perfekt. Auch nicht, wenn er so niedlich "Bonjour, Madama" sagen kann.

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