Diesen Blogpost bin ich Änni & Anne schon
sehr lange schuldig geblieben. Die Verzögerung tut mir ehrlich leid! Der
Artikel liegt aber wirklich schon seit Februar auf meinem virtuellen
Schreibtisch, wurde ständig weiter geschrieben und dann wieder abgebrochen.
Nächste
Woche jährt sich wieder der Aktionstag „Roses Revolution“, wenn am 25.11.
Frauen rosafarbene Rosen an Orten niederlegen, an denen ihnen Gewalt unter der
Geburt angetan wurde. Hier findet ihr ausführliche
Informationen über den Tag und hier und hier unsere Posts aus den letzten zwei Jahren.
Mittlerweile konnte ich
meine traumatische erste Geburt aufarbeiten und habe meinen zweiten Sohn
außerklinisch im Geburtshaus bekommen. Wir durften wirkliche eine fast
schmerzfreie und völlig komplikationslose Geburt erleben. Unsere Leserin Änni &
Anne schrieb unter meinem Geburtsbericht die berechtigte Frage: "Wie man die
Angst, dass wieder etwas Schlimmes passieren könnte, ablegt."
Neo-Intensivstation mit Frühchen Sohn Nr. 1 |
Ich kenne natürlich
keinen allgemeingültigen Weg, aber es gibt ein paar Punkte, die mir dabei sehr geholfen haben:
1. Es war nicht meine
Schuld
Ein ganz wichtiger
Punkt. Diesen adressiere ich an alle Frauen da draußen, die selbst schlimme Erfahrungen
unter der Geburt, während der Schwangerschaft oder im Wochenbett gemacht haben:
Es war nicht eure Schuld.
Euer Körper ist weder unfähig, ein Kind zu gebären,
noch habt ihr an irgendeinem Punkt versagt.
Ich weiß, dass einem
aber genau das suggeriert wird. Egal, wann und mit wem man seine schlimme
Geburtserfahrung aufarbeiten will, man wird entweder mit blöden
Sprüchen abgeschmettert („dem Kind geht es doch gut, das ist die
Hauptsache“, „Gebären ist halt nicht schön“, …) oder die Notwendigkeit der Maßnahmen,
unter denen man gelitten hat, wird als Gegenargument angeführt.
Mein Tipp ist an dieser
Stelle, euren Geburtsbericht anzufordern und die Geburt mit den damals
Anwesenden durchzusprechen. Ihr erinnert euch nicht an die Dinge, die dort
erwähnt wurden? Lasst euch erklären, warum sie passiert sind. Rückversichert
euch auch, OB sie wirklich passiert sind. Was sagt euer Partner oder die
Begleitperson, die dabei war?
Ich will medizinischem
Personal auf keinen Fall falsches Verhalten unterstellen (nicht als
Generalverdacht), wir haben aber ein großes Problem in unserem medizinischen
System und damit auch in der medizinischen Geburtshilfe: wir müssen Fehler beweisen. Und macht das mal. Das ist in unserem System so gut wie
unmöglich.
Unter Geburten passieren
aber Fehler. Es wird an Stellen interveniert, an denen Abwarten das Richtige
gewesen wäre und es wird an anderen Stellen nichts getan, wenn frau Hilfe
gebraucht hätte.
Immer weniger Zeit für immer mehr Patientinnen bei immer weniger Personal…darunter leidet
nicht nur die Geburtshilfe. Mütter haben aber keine politische Lobby, darum wird an uns gespart - und darum sind solche Aktionen wie Roses Revolution so wichtig.
Führt euch ein ganz
entscheidendes Paradoxon vor Augen: auf der einen Seite wird man unmündig
gemacht, sobald man eine Klinik betritt. Man ist Patientin und die anderen sind
das Fachpersonal, die wissen, was sie tun, und wir müssen ihnen dabei vertrauen. Dabei zählen für sie neben unserem Wohl auch Durchlaufzahlen und Abrechnungsfragen.
Auf der anderen Seite soll man dann aber sehr wohl Unterschriften leisten,
Interventionen absegnen und keiner zieht sich am Ende den Schuh an, wenn die
Geburt dramatisch verlaufen ist. Außer wir Mütter.
Im Nachhinein sind mir
einige Dinge aufgefallen, die unter meiner ersten Geburt katastrophal falsch
gelaufen sind. Es hat aber Jahre gedauert, halbwegs befriedigende Antworten auf
meine Fragen zu bekommen, die Gefühle von (meiner) Schuld und Versagen soweit
zu verarbeiten, dass ich wieder kritisch und analytisch die Ereignisse
rund um die Geburt reflektieren konnte.
Sowas braucht
vielleicht einfach Zeit.
Schließlich ist man direkt nach der Geburt mit so vielen anderen Dingen beschäftigt.
Viele Frauen, die unter traumatischen Erlebnissen gelitten haben, müssen zudem
erst einmal die Scherben ihrer Selbst aufsammeln UND sich auch noch um ein Baby
kümmern. Dabei stehen sie (wir) oft ganz alleine mit allem da.
Deshalb ist der Punkt,
die Schuld für Komplikationen und/oder schwere Geburten eben NICHT bei sich zu suchen sondern kritisch und reflektiert
das Erlebte zu verarbeiten, auch der schwierigste. Aber meiner Meinung
nach der wichtigste.
An dieser Stelle muss
ich aber auch erwähnen, dass ich generell eher zu den aufmüpfigen und
kritischen Menschen gehöre, mich um gewisse Dinge zu streiten, ist einfach mein
Naturell. Mir ist aber durchaus bewusst, dass nicht jede in so ein offenes Gespräch mit den
Beteiligten gehen kann. Dann sind Gespräche darüber in einem geschützteren Rahmen mit Personen eures Vertrauens die bessere Alternative.
2. Vorbereitung ist
alles
Eigentlich schließt
dieser Punkt an den vorherigen an. Um sich auf die nächste Geburt richtig
vorzubereiten, ist das Verarbeiten der vorherigen vielleicht nicht unbedingt notwendig,
aber sicherlich hilfreich. Ohne die Kraft des Verdrängens vernachlässigen zu
wollen, hätte ich die Sorge gehabt, dass unter der nächsten Geburt dann
Prozesse ablaufen oder das Erlebte auf eine unkontrollierte Art hochkommt, die
dann negativen Einfluss auf den Geburtsverlauf gehabt hätten.
In meiner zweiten
Schwangerschaft hatte ich das Glück, einen wirklich guten
Geburtsvorbereitungskurs zu besuchen. Dieser war bei meiner Hebamme und in dem
Geburtshaus, in dem ich später auch entbunden habe. Bei meinem ersten Kind
hatte ich zwar auch einen, aber an dem Crashkurs am Wochenende mit Partner
konnte ich nicht mal ansatzweise das mitnehmen, was ich vielleicht gebraucht
hätte, um mich unter der Geburt auch gegen Maßnahmen wehren zu können.
Jetzt im Nachhinein
verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht, warum man sich so sehr auf die
Schwangerschaft vorbereitet und ihren Verlauf mit dem
eigenen Verhalten (bzw. Verboten was Essen, Sport, usw. angeht) aktiv
beeinflussen will, bei der Geburt aber nicht die gleiche Sorgfalt walten lässt.
Schließlich kommt es doch fast nur auf die letzten Stunden der Schwangerschaft
an, die letztlich entscheiden, wie das Kind auf die Welt kommt. Diese
werden aber oft wie eine „Black Box“ behandelt und man will (oder soll) alles „auf sich
zukommen lassen“.
Dabei KANN man sehr
wohl den Geburtsverlauf aktiv mitbestimmen, man SOLLTE das sogar. Denn bei
allen schöngefärbten „dein Körper weiß schon, was er tut“ ist das nun mal nicht
so einfach. Wir geben während der Schwangerschaftsvorsorge viel ab (was per se
ja nicht schlecht ist) und müssen am Ende der Schwangerschaft den Modus
komplett umschalten und unser Kind auf die Welt bringen. Das gelang mir beim
ersten Kind wegen mangelnder Erfahrung und Vorbereitung nicht.
Was aber auch
ganz massiv gefehlt hat, war das Vertrauen in meine eigene
Entscheidungsfähigkeit.
3. Habt Vertrauen
in euch und euer Kind
Hinzu kommt aber
natürlich auch die allgemeine Verunsicherung, mit der frau während der
Schwangerschaft permanent konfrontiert wird. Wir sind fast alle risikoschwanger,
dabei entweder zu jung, zu alt, zu dick, zu dünn, wir arbeiten zu viel oder
bewegen uns zu wenig. Die Liste lässt sich unendlich fortführen und sogar auf
das Kind übertragen. Das ist nämlich auch zu groß oder zu klein, hat nicht
passende (Norm-)Werte oder oder oder. Monate der Sorge sind eher kennzeichnend für viele Schwangere als in freudiger Erwartung zu sein.
Es ist unfassbar
schwer, da ein gesundes Verhältnis zu sich, seinem Körper und seinem Kind zu
entwickeln. Über die Folgen unserer engmaschigen Schwangerschaftsvorsorge und
dem Umgang mit dem (Nicht-)Wissen will ich an dieser Stelle auch gar nicht
diskutieren – mich beruhigt es nämlich auch, alle medizinischen Möglichkeiten
nutzen zu können.
Es ist aber ein schmaler Grat zwischen Aufklärung und
Entscheidungsdruck, der oft mehr Unsicherheiten produziert als Vertrauen
aufbaut.
Als eine der
schlimmsten Beleidigungen und menschenfeindlichsten Äußerungen fasse ich den
häufig genutzten Spruch unter der Geburt „Sie wollen doch sicherlich nur das
Beste für Ihr Kind?!“ auf, der verwendet wird, um Angst zu schüren, damit alle Maßnahmen doch schließlich
wider dem eigenen Empfinden oder Bauchgefühl abgesegnet werden. Schlicht aus der
Sorge, seinem Kind zu schaden, wenn man sich nicht fügt.
Dabei sollte allen klar
sein, dass jede Mutter nur das Beste für ihr Kind will. Und das als
argumentatives Druckmittel zu verwenden, ist ethisch absolut fragwürdig und hat
nichts – aber auch rein gar nichts – mit medizinischer Aufklärung zu tun.
Doch wie soll man das
Vertrauen aufbauen, wenn es einem damit wirklich schwer gemacht wird?
Mein letzter Tipp:
4. Schützt euch selbst
und macht, was euch gut tut
Die Schwangerschaft ist
eine hoch sensible Phase. Wir sind auf der einen Seite extrem verletzlich und
müssen gleichzeitig für uns und unser Kind einstehen. Das ist unfassbar
anstrengend. Deshalb habe ich meine zweite Schwangerschaft für all die Dinge
genutzt, die ich bei der ersten verpasst habe: ich habe Kurse besucht, Zeit für
mich fest eingeplant und mich nur mit Dingen befasst, die mir gut taten. Für
mich waren Meditationsübungen und Angstvisualierungen (um konkrete Ängste
abzubauen) genauso hilfreich wie medizinische Debatten und kritische Gespräche
mit Fachpersonen.
Dabei hielt ich mir
bewusst vom Hals, was mich negativ hätte beeinflussen können.
(btw Ist das - neben
dem süßen Kind natürlich - eine der besten Nachwirkungen aus der Zeit. Ich bin
ziemlich selbst-bewusst geworden, was das angeht. Das Wort
"egoistisch" wähle ich absichtlich nicht, obwohl es mir
typischerweise als erstes in den Sinn kam)
Nach der Geburt von Sohn Nr. 2 direkt Zuhause |
Fazit
Ich denke, es gibt
nicht DEN einen Weg, wie man mit seiner Angst am besten umgehen kann. Genauso
wenig, wie es DIE eine Art oder Umgebung zu gebären gibt, mit der sich frau
garantiert am wohlsten fühlt.
Darum habe ich auch
keinen Post darüber geschrieben, wie sicher die außerklinische Geburt ist
(dabei hatte ich die Daten schon recherchiert ^^), denn auch da gilt, dass dies
nicht der einzige Königinnenweg ist. Für mich war es richtig, mich aus der
medizinischen klinischen Geburtshilfe beim zweiten Mal rauszuhalten, aber ich
bin dieser auch prinzipiell sehr kritisch eingestellt.
Wichtig ist, denke ich,
dass jede Mutter dabei unterstützt wird, ihren Weg zu finden und das
Erlebte auch so aufzuarbeiten, wie es für sie am besten ist.
In dem Zuge möchte ich
hier noch den sehr schönen Artikel „Gewalt beginnt im Kleinen und die Revolution bei uns selbst“
von Silke von Elternstimme sichereGeburt verlinken, die dafür die besseren
Worte findet als ich.
Für mich war die
kompetente und tolle Betreuung durch meine Hebamme sehr hilfreich, aber auch
die Übungen, die ich mir abseits im HypnoBirthing gesucht habe, haben meine
Ängste abbauen können und mich die meiste Zeit sehr entspannt bleiben
lassen.
Ich wünsche allen Müttern mit schlechten Erfahrungen oder sogar Geburtstraumata, dass sie ihren persönlichen Weg finden, um damit umzugehen und das Erlebte gut für sich verarbeiten <3!
Danke für diesen tollen Artikel! Eins würde mich aber sehr interessieren: wie ist denn dein Partner mit dieser Angst umgegangen? Ich denke mal, dass das ja sicherlich Thema bei euch war und er ja sicher auch bedenken hatte, wenn eine zweite Schwangerschaft ansteht. Konnte er dir bei deiner Angstbewältigung helfen bzw du ihm?
AntwortenLöschenKlar, Frau bekommt das Kind und hat sicherlich damit auch den Hauptteil an Bedenken und etwas anders gelagerte Ängste. Aber dem Partner ist es ja sicherlich nicht egal, wie es Frau geht und wie sie aus der Geburt kommt/wie sich auf die folgende Zeit und vielleicht auch folgende Schwangerschaften eingestellt wird.
Ich stell mir das für den Mann sehr schwierig vor, eben weil er ja auch überhaupt nicht eingreifen kann, während die Frau leidet. Das belastet sicher auch.
Würde mich einfach mal interessieren, wie man als Paar damit umgeht und wie vielleicht die Ängste des Mannes gelagert sind, wenn seine Frau (und letztlich auch er selbst) etwas so traumatisches erlebt.
Ganz liebe Grüße,
EsistJuli
Liebe EsistJuli,
Löschenich habe meinen Mann gefragt, ob er einen Post dazu aus seiner Sicht schreiben würde, mir fiel auf deine Frage nämlich tatsächlich keine Antwort ein.
Klar, seine Ängste waren schon Thema. Aber dabei ging es hauptsächlich um den Kompromiss, dass ich in einem Geburtshaus entbinde und nicht Zuhause. Eigentlich war ich für eine Hausgeburt, ihm war die Kliniknähe aber sicherer. gerade weil wir beim ersten Kind erlebt haben, wie notwendig medizinische Maßnahmen unmittelbar nach der Geburt sind.
Ansonsten hielt er sich mir gegenüber immer sehr zurück, was seine eigenen konkreten Sorgen angingen. Ihm war eher wichtiger, dass ich mich gut fühle und sein mir entgegengebrachtes Vertrauen - also dass ich schon weiß, was ich da tue - half mir auch, selbstsicherer zu werden.
Vielleicht schreibt er ja als Gastautor mal was dazu :).
Liebe Grüße,
Chutriel