In 18 Interviews steht der Familientherapeut Jesper Juul Familien bei, die ihre Gelassenheit irgendwo verloren haben. Sei es, weil die Kinder zu willensstark sind oder weil sie mit ihrer Elternrolle hadern. Die einen gehen im Alltagschaos mit den Kindern unter, die anderen fechten bitterliche Kämpfe mit ihrem Ehepartner aus.
Jesper Juul ist im Bereich der Ratgeberliteratur seit geraumer Zeit sehr angesehen. Bei ihm ist keine Rede von Belohnungs- oder Bestrafungssystemen. Tschüss Super-Nanny! Er behandelt die Kinder mit Respekt und geht zielsicher den Ursachen des Verhaltens auf den Grund, mit dem die Familie nicht zurecht kommt. Kinder wollen es ihren Eltern Recht machen, sagt er. Wenn sie sich dennoch "unrichtig" verhalten, liegt das häufig in Situationen begründet, mit denen sie nicht umgehen können.
So geht es zum Beispiel den Eltern von Erik,
der 5 Jahre alt ist und sich noch immer in die Hose macht. Die Eltern haben schon alles mögliche versucht haben, um das Einnässen zu verhindern. Sie erzählen, dass sie Erik ausschimpfen, wenn er sich wieder einmal in die Hose gemacht hat, dass sie Routinen mit ihm trainierten, Stoffwindeln einführten, doch manchmal macht er tagsüber drei Hosen voll und nachts noch das Bett. Außerdem erniedrigt es ihn, wenn ihm die Eltern Windeln anziehen oder ihn nachts wecken, damit er auf Toilette geht. Sie machen sich Sorgen, wie es werden wird, wenn er erst einmal in die Schule geht...
Jesper Juul hört sich alles an und nimmt den Eltern am Ende die Verantwortung ab. Er rät ihnen zu einem Gespräch mit Erik, in dem sie ihm sagen, dass er nun selbst die Verantwortung dafür übernehmen soll. Kein Schimpfen, kein Belohnen, keine übetriebene Fokussierung auf die Toilette. Sondern: Ein Gespräch mit Erik und das Vertrauen in ihn.
Ein anderes Problem haben die Eltern der achtjährigen Smilla.
Sie zwingt ihre Eltern und ihre jüngere Schwester, sich ihrem Willen zu beugen. Es fällt schwer, ihre Eltern zu sein, denn sie ist sehr launisch und sagt verletzende Dinge.
Jesper Juul rät auch hier zu einem Gespräch, in dem die Eltern ihrer Tochter sagen, dass es manchmal schwer ist, ihre Eltern zu sein. Wenn es Streit gibt, sollen sie das Zimmer verlassen. Nicht aus Strafe für Smilla, sondern damit sie nicht immer weiter Sachen sagt, die sie später bereuen wird. Wenn nach einem Streit wieder Ruhe ist, sollen sie noch einmal mit der Tochter reden, ob sie die bösen Worte wirklich so meint.
Die Eltern waren oft enttäuscht nach den Gesprächen,
weil es keinen Drei-Punkte-Katalog mit "Tu dies und das" gab, den sie abarbeiten konnten. Oft half ihnen aber das Gespräch an sich, weil sie ihre Probleme aussprechen konnten und sie waren außerdem positiv überrascht, wie ihre Kinder auf ernsthafte Gespräche reagierten. Erik hörte tatsächlich promt auf, sich in die Hose zu machen. Mit Smilla hatten die Eltern weniger Erfolg, konnten aber auch das von Jesper empfohlene Gespräch noch nicht umsetzen.
Das Buch erzählt viel über die Aspekte Gefühle und Unsicherheit. Jesper Juul nimmt den Eltern die Bürde, immer perfekt sein zu müssen, und betont im Gegenteil: Seid wie ihr seid! Kinder reagieren verstört darauf, wenn Eltern ihre Gefühle unterdrücken - So lernen sie keine Empathie.
Eltern dürfen und müssen auch mal wütend und traurig sein!
Kein Mensch ist immer nur fröhlich. Wer das seinen Kindern vorlebt und noch schlimmer: wer auch von seinen Kindern eine permanente Glücklichkeit erwartet, der beraubt sie ihrem Gefühlsspektrum. Spätestens in der Pubertät werden diese Kinder nicht mehr mit ihren Gefühlen umzugehen wissen und haben ein Problem.Eltern sollen Leuchttürme sein, an denen sich die Kinder orientieren können.
Mir gefielen die Interviews sehr gut.
"Eltern Coaching" ist kein Ratgeber, sondern eine Sammlung von Interviews, aber auch aus diesen kann man Relevantes für die eigene Familie mitnehmen. Für mich ist dieses Buch der Einstieg in die Jesper-Juul-Welt und ich werde mir noch weitere seiner Bücher zu Gemüte führen. Seine Gelassenheit und der Optimismus sprechen mich sehr an.
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