Dienstag, 1. März 2016

Der Knick im Eltern-Ego

Wir sitzen im Pausenraum. Vor dem Fenster brüllt ein kleines Kind. Es weint nicht einfach nur, nein! Es schreit als würde es abgeschlachtet. Totaler Systemausfall! Neugierig und etwas besorgt, schauen meine Kolleginnen und ich aus dem Fenster.
Am Straßenrand versucht eine Mutter ihren Sohn zur Weiterfahrt mit dem Laufrad zu bewegen. Ziemlich erfolglos und mit immenser Gegenwehr.



Ich kenne die beiden aus dem Kindergarten. Der Junge ist etwa ein Jahr älter als Kilian.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich den Kleinen noch gelobt habe, wie artig er sein Laufrad im Kindergarten abstellt und ins Gebäude geht, während Kilian noch 20 mal umdreht um wieder in die Pfütze zu springen. Die Reaktion der Mutter klingelt mir in diesem Moment in den Ohren:

„Ja, er ist ein kleiner Engel!“
Schon damals dachte ich mir, dass er wohl kaum IMMER dieser kleine Engel sein kann. Jetzt sehe und höre ich es vis a vis.

Ich kann mir kaum vorstellen, wie peinlich der Mutter dieser Zwischenfall gerade sein muss. Auch wenn unser Städtchen nicht sehr groß ist, sind die Straßen rund um das Rathaus um diese Zeit trotzdem sehr belebt. Ein Getöse in dem Umfang bleibt also wohl kaum unbemerkt.
Doch ein Erlebnis dieser Art habe ich nicht zum ersten Mal. Schon bei kurzem Nachdenken fallen mir etliche Elternaussagen ein, die ein paar Wochen oder Monate später revidiert werden mussten.

„Er schläft von Anfang an durch!“
„Mit dem Einschlafen (Essen, Kacken etc.) hatten wir noch nie Probleme.“
„Unsere Tochter ist immer so artig, sie war noch nie zickig.“
„Mittagsschlaf? Macht er freiwillig!“
Mit stolz geschwellter Brust sagen Eltern solche Sätze, bevorzugt gegenüber anderen Eltern, die gerade ihr Leid klagen oder versuchen einen Systemausfall beim eigenen Kind einzudämmen. Ist man erst seit kurzer Zeit Mama oder Papa wird man dadurch schnell verunsichert.

Umso mehr muss ich schmunzeln, wenn ich frisch gebackene Eltern einen dieser Sätze sagen höre.
Denn wir Eltern sind „alt“ und haben im Laufe unseres Lebens vergessen, wie schnell man durch solche Phasen geht. Es fällt uns schwer mit dem ständigen hüh und hott aus Schüben und Entwicklungssprüngen mitzuhalten. Eben war unser Baby noch das Liebste der Welt und im nächsten Moment brauchen wir 2 Stunden, um es ins Bett zu bekommen.
Natürlich gibt es sicher auch Eltern die Glück haben und ein Kind bekommen, dessen größtes Hobby Schlafen ist. Die Chance liegt allerdings bei etwa 1:1000 oder weniger.


Muss man sich dann eingestehen, dass man sich zu früh gefreut hat, ist das durchaus ein sehr unangenehmes Gefühl. Ich selbst ertappe mich auch oft dabei, schnell solche Thesen auszusprechen. Nach 2 durchgeschlafenen Nächten hintereinander ist man als chronisch schlafentzogene Mutter schnell in der Versuchung, auf eine langfristige Besserung zu hoffen. Meist schlägt einem dann das Kind direkt ein Schnippchen.
Geben Eltern einen solchen oder ähnlichen Satz von sich, bin ich immer gewillt ihnen ein herzliches „Wartet’s ab!“ zu erwidern. Meistens lasse ich ihnen aber diesen kleinen Triumph. Spätestens wenn das Kind in die Trotzphase kommt, wird es ihnen schon selber zeigen wo der Hase lang läuft.

Denn in dieser schwierigen Zeit, in der kaum jemand sein Kind wiedererkennt, kommt die Erleuchtung von ganz allein.

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