Zum überraschenden und traurigen Krebstod von Miriam Pielhau mit nur 41 Jahren, erschien ein Blogpost von Berlinmittemom, der mich sehr berührt hat:
Vielleicht kann man seine Mutter besser gehen lassen, wenn sie mit 70, 80 oder 90 auf viele Jahre zurückblicken kann, die sie gelebt hat. Und nicht, wenn sie den Kampf nach einer schweren Krankheit verloren hat. Wenn man noch so klein ist wie Miriam Pielhaus Tochter, die gerade mal vier Jahre alt ist und nun ein ganzes Leben ohne Mutter vor sich hat. Ich glaube aber, es ist immer schwer. Egal, wie alt man ist und diese Erfahrung prägt einen für den Rest des Lebens.
Ich war 18, als meine Mutter an Krebs starb, und damit eigentlich schon erwachsen. Trotzdem brach meine komplette Welt zusammen und ihr Tod beeinflusst mich erst recht, seitdem ich selbst Mutter geworden bin.
Ich ziehe meine Kinder mit der Gewissheit groß, sie irgendwann zurück lassen zu müssen. Denn Mütter sterben.
Dabei habe ich ambivalente Gefühle. Auf der einen Seite versuche ich, meine Kinder sehr unabhängig zu erziehen und will unter keinen Umständen ihre einzige Bezugsperson sein. Ich freue mich eher über die Meilensteine ihrer Entwicklung anstatt der Baby- und Kleinkindzeit nachzutrauern. Denn je älter sie werden, um so sicherer kann ich sein, dass sie ohne mich zurecht kommen werden, wenn ich nicht mehr da bin.
Doch weiß ich auf der anderen Seite, dass ich immer fehlen werde und durch nichts zu ersetzen bin.
Dieses Gefühl sehe ich in den Augen meiner Kinder, wenn sie meine Rückversicherung brauchen. Meine Reaktion auf ihr Verhalten oder auf die Umwelt ist ihre Orientierung. Mich hat die Panik im Gesicht von meinem Sohn erschrocken, als er mich auf dem Spielplatz mal kurz nicht finden konnte.
Dass ich so wichtig für sie bin, ist manchmal erdrückend.
Dann bekomme ich Angst, dass mein Fehlen irgendwann für sie nicht zu bewältigen sein wird. So wie ich es damals empfunden habe, als meine Mutter starb. Vielleicht fand ich deshalb meine Profession in der Katastrophensoziologie: Das Ende aller Sicherheit, der Kollaps des sozialen Gefüges und erfassbares Chaos der ehemaligen Ordnung - mein damaliges Lebensgefühl in theoretische Gebilde gefasst. Bis heute bin ich nicht gut in emotionalen Dingen. Die musste ich damals wegschließen, um weitermachen zu können.
Die Überlebensstrategie "nichts an mich ranlassen" funktioniert als Mutter nicht, die Überbleibsel davon erschweren mir aber heute das Muttersein in vielen Bereichen.
Mit meiner Mutter und meinen Schwestern in dem Freizeitpark, in dem ich jetzt jedes Jahr mit meinen Kindern bin |
Nichts, sagte sie.
Heute weiß ich, was sie dachte, denn ich ertappe mich dabei, meine Kinder auf die gleiche Art anzusehen. Mit der unausgesprochenen Frage, wie viel Zeit mir mit ihnen bleibt.
Aber was macht man mit dem Wissen darum? Wenn man weiß, dass die Zeit abläuft? Der Gedanke ist unerträglich.
An Tagen, an denen meine Kinder so richtig kotzbrockig zu mir sind, möchte ich sie schütteln und ihnen sagen, dass sie über jede verdammte Minute froh sein sollen und jede Sekunde, die sie mich nicht gewertschätzt haben, irgendwann bereuen werden.
So wie es mir nach dem Tod meiner Mutter ging.
Und dann bin ich wiederum froh über ihre Unbedarftheit und Sorglosigkeit und ich hoffe, dass sie sie so lange wie möglich behalten können. Dass es ihnen nicht so ergeht wie mir, der schon als Jugendliche gesagt wurde, ich sei zu schwermütig und zu traurig für mein Alter.
Ich mit 19 |
Mütter sterben und hinterlassen ein Gefühl der Haltlosigkeit in einer Welt, die ein Stück dunkler wird. Man verliert die Sicherheit, dass am Ende alles gut wird. Denn manchmal wird es nicht mehr gut. Wenn alles Hoffen, Bangen und Beten nicht geholfen haben und das Schlimmste trotzdem passiert.
Hinter jeder Meldung über eine Brustkrebstote aus den Medien oder dem Bekanntenkreis, steht ein Kind, dessen Mutter gestorben ist oder ein anderer Angehöriger, der einen wichtigen Menschen verloren hat. Sowie Miriam Pielhaus kleine Tochter.
Es sind nicht die anderen, denen es passiert. Es passiert auch uns.
Ich wünschte, ich wäre nur ansatzweise so stark und positiv wie Berlinmittemom und könnte wie sie an den meisten Tagen JA sagen zum Leben. JA zu jeder wertvollen Minute mit meinen Kindern und jeden Moment auskosten. An den meisten Tagen macht mir das aber einfach nur Angst, weil ich weiß, dass ich meine Kinder nicht davor schützen kann.
Unser Alltag ist ihre Kindheit |
Ich habe aber die Hoffnung, dass mich meine Kinder erst beerdigen müssen, wenn sie den Abschied von mir möglichst gut verkraften können. Weil sie erkennen, dass noch ganz viel da ist, auch wenn ich gestorben bin.
Durch sie bleibe ich weit über mich selbst hinaus lebendig. Sowie meine Muter durch mich und meine Schwestern auch weiterhin Teil unseres Lebens ist.
Unvergessen und auf die Art unsterblich.
Deine Kinder sind nicht deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.Sie kommen durch dich, aber nicht von dir, und obwohl sie bei dir sind, gehören sie dir nicht.Du kannst ihnen deine Liebe geben, aber nicht deine Gedanken; denn sie haben ihre eigenen Gedanken.Du kannst ihrem Körper ein Haus geben, aber nicht ihrer Seele;denn ihre Seele wohnt im Haus von morgen, das du nicht besuchen kannst - nicht einmal in deinen Träumen.Du kannst versuchen, ihnen gleich zu sein, aber suche nicht, sie dir gleich zu machen;denn das Leben geht nicht rückwärts und verweilt nicht beim Gestern.Du bist der Bogen, von dem deine Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden... Lass die Bogenrundung in deiner Hand Freude bedeuten. - Khalil Gibran
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