Freitag, 11. Juli 2014

Wie ich mir einen Rowdy erziehe

Früher habe ich mich ständig über Kinder aufgeregt, die in meinen Augen kein Stück erzogen waren und chaotisch durch die Gegend tobten, dabei alles umrissen und angrabbeln wollten. Scheinbar klingelte mir immer noch der am häufigsten gebrauchte Satz meiner Mutter in den Ohren: „Wir gucken mit den AUGEN, nicht mit den HÄNDEN!“

Und trotzdem wollte ich auch nicht zu den Müttern gehören, die ihrem Kind den ganzen Tag zeternd hinterher rennen und alles verbieten. Nachher denkt mein Kind noch, es heißt „NEIN!“ oder das wäre eins der ersten Worte, das er sprechen kann (tatsächlich bei dem Kind einer Bekannten gesehen, also kein Witz). Wie immer hielt ich den Mittelweg für möglich.

Und war, bevor mein Kind krabbeln konnte, voller Illusionen. Da dachte ich also noch, ein paar sanfte Erklärungen à la „Nein, mein Schatz, du könntest dir weh tun.“ würden als Erziehung reichen. Aber dann lernte mein Wirbelwind, sich vorwärts zu bewegen. Und seitdem ist nichts mehr sicher. Weder Kind noch Wohnung. Oder meine Sachen.

(Mittlerweile wundert mich die Frühgeburt eigentlich nicht mehr, denn Sohnemann hat meine Ungeduld und M.s übertriebenen Aktionismus geerbt. Keine gesunde Mischung.)

Er klettert überall rauf (und fällt dementsprechend rückwärts wieder runter), kann Kindersicherungen aus Steckdosen puhlen und von den Schranktüren rupfen, verschwindet durch offene Türen und steckt sich wirklich alles in den Mund.

Einen Anruf bei der Giftnotrufzentrale haben wir auch schon hinter uns.

Sein neuestes Lieblingsspiel ist Türen auf- und zumachen. Und ich bin in permanenter Lauerstellung, doch noch meine Hand dazwischen zu bekommen, sollte der Schwung oder ein Windstoß die kleinen Fingerchen zu sehr klemmen.

Ja, zu sehr. Denn ein wenig Abstand habe ich schon zu seinen wagemutigen Aktionen gewonnen und lasse ihn immer erst mal machen. „Lernen durch Schmerz“ ist die Devise, ein paar Mal weh getan und ein paar Dinge probiert, und er lässt es sein (im besten Fall). Das ist nervenschonender als ständig „NEIN!“ zu kreischen. Dummerweise ist das Kind so natürlich absolute Freiheit gewohnt und entwickelt doch ein paar ungesunde Affinitäten. Zu Papier zum Beispiel. Das wird gegessen. Und zu Kabeln, daran wird gezogen. Und zu M.s Sachen, die er einfach nicht aus Kinderreichweite räumt. Aber das ist sein Pech, meiner Meinung nach.


Mein Mittelweg sieht also so aus, dass ich in Kategorien denke:

  • Stufe 1 „kindgerecht, das kann er machen/essen“
  • Stufe 2 „Kann er machen/essen, ist zwar nicht unbedingt gesund, aber auch nicht tödlich“ und 
  • Stufe 3 „NEIN!!! UM GOTTES WILLEN AUF KEINEN FALL!“
Für Stufe 1 und 2 stehe ich nicht noch nicht mal auf und spare mir meinen Atem definitiv für Stufe 3. Davon gibt es doch erschreckend mehr Sachen, als man sich noch ohne Kind vorstellen konnte.

Allerdings gehört mein Sohn so natürlich zu den Kindern, bei denen man keine Erziehung vermuten würde. Er wühlt in fremden Taschen und klettert auf fremde Schöße, wenn ich ihn nicht davon abhalte. Ich entschuldige mich in der Öffentlichkeit permanent für seine...äh, Kontaktfreude. Zum Glück ist er dabei zuckersüß. Bisher erntete ich auf seine Aufdringlichkeit von Fremden nur entzücktes Gequietsche anstatt genervtes Augenrollen.

Bis auf einmal, da sah mich ein älterer Herr strafend an, als mein Sohn in der S-Bahn von der Bank fiel.

Furchtlos und neugierig nimmt mein Rowdy Kontakt auf, strahlt alles und jeden an und freut sich jeden Tag über die Welt und seine Neuentdeckungen. Das ist mir ehrlich gesagt lieber, als wenn er überall Gefahren sieht und permanent an Grenzen stößt.

Der Vergleich fiel mir neulich in der Krabbelgruppe auf. Da gibt es nämlich so ein verhuschtes Kind und die entsprechende Mutter dazu. Der arme Junge darf weder Schmutziges anfassen noch auf Entdeckungstour gehen. Unsere Söhne krabbelten gemeinsam unter den Tisch und sie rannte sofort mit den Worten „NEIN! Spatz, du stößt dir den Kopf!!!“ hinterher, während ich mir dachte: „Na und, stößt er ihn sich halt!“
Mein stolzes Mutterherz muss natürlich erwähnen, dass sich mein Kind nicht den Kopf gestoßen hat. Durch seine diversen Aneckunfälle hat er ein ziemlich gutes Körpergefühl und weiß, wo sein Kopf anfängt und der Körper aufhört (wenn er sich mal wieder durch eine Ritze quetscht).

Und wenn nicht…na, dann stößt er sich halt den Kopf. Die schlimmsten Verletzungen hat er, und das muss ich auch erwähnen, durch MICH erfahren, bzw. durch meine Unachtsamkeit. Einmal rammelte ich ihn ziemlich fies gegen eine offene Schranktür, dieses Mal blutete der Kopf wirklich. Und einmal wurde er verbrüht, weil ich beim Flaschenkochen nicht aufgepasst habe.
Er selbst ist ziemlich gut in der Lage, abzuschätzen, was er schon kann und was nicht. Für den Rest greift mein drei-Stufen-Modell. So krabbelt er auch frei und ohne Aufsicht durch die Wohnung. Mittlerweile kann ich nämlich am Geräusch des herunterfallenden Gegenstandes hören, womit er im Nebenraum spielt. Heute erst bin ich vom Klo gesprungen, weil es die Kindersicherung war, die er aus der Steckdose gefummelt hat.

Aber dennoch, nur los, mein Kind, denn den Mutigen gehört die Welt :)!

Wie haltet ihr das mit dem Bewegungsdrang, Verboten und Erziehung eurer Kleinen? Seid ihr sehr vorsichtig und ängstlich oder eher unaufgeregt?

5 Kommentare:

  1. Dein Beitrag ist so süß, ich sitze hier grad lachend vor trockener Theorie über Großbritanniens Politik. ;)
    Mal sehen, wie unser kleiner Mann so wird.
    /glasgow.

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    1. Ja, das ist wirklich so spannend. Hoffentlich kann ich mitverfolgen, wie euer Zwerg nachher so drauf ist :-D!

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  2. Toller Post!
    Am Dienstag krabbelte Mila ins Nebenzimmer und als Papa zwei Minuten später folgte, stand sie schon ganz oben auf der Leiter des Hochbetts! Ahhh... Das fiel definitiv unter Punkt 3!! Aber sie lachte ihn freudig an. Sie ist schon auch so ein kleiner Rowdy.^^

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    1. Waaaaah, mal eben die Leiter hochgeklettert oO?! Man man man, aber Hauptsache, die Kleinen haben ihren Spaß :-P.

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    2. Ja, momentan ihr neues Hobby. Nicht laufen können, aber schon fleißig an Leitern hochklettern :D Naja... irgendwie braucht man zehn Augen und Hände bei so kleinen Kids!!

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