Donnerstag, 10. Juli 2014

Wenn die Tipps kommen ...

Jede frisch gebackene Mutter kennt das. Es setzt sich genau das fort, was sie schon in der Schwangerschaft erleben "durfte". Von allen Seiten bekommt sie gut gemeinte Ratschläge und das meist in folgender Form:

Wenn du jenes machst, wird dein Kind ...
Wenn du dieses nicht machst, wird dein Kind ...


Der in meinen Augen schlimmste und furchtbarste Tipp, den man einer jungen Mutter geben kann, ist "Du musst das Baby auch mal schreien lassen".

Aha. Muss ich?
Das erste Mal, als ich den Tipp zu hören bekam - ja, da war Cecilia 5 volle Tage alt. 5 TAGE.

Wir reden von einem Baby. Ein Baby, das auf die Welt kommt und hier nichts kennt. Alles ist neu, es kennt nur Wärme und Enge. Plötzlich hört es neue laute Geräusche, es riecht unvertraute Gerüche von allen Seiten, es sieht Farben und Schemen, die es noch nie wahrgenommen hat, es hat eventuell Hunger oder Schmerzen und muss sich neuerdings bemerkbar machen während es in Mamis Bauch super versorgt wurde mit allem. Es hat ein Trauma durchlebt und - sind wir mal ehrlich - durchlebt es immer noch. Alles in dem es aufgewachsen ist, was es kennt, ist plötzlich weg - einfach so.

Wie als wenn wir von unserem vertrauten Leben von der Erde weg teleportiert würden auf einen anderen Planeten, wo alles anders riecht und aussieht und wir zu allem Übel auch noch auf die Hilfe der anderen angewiesen sind, die uns - oh scheiße - nicht verstehen. Herzlichen.

Das einzige, was wir wollen, ist dass jemand unsere Bedürfnisse erfüllt und so viele haben Babies in ihrem jungen Leben noch nicht: Hunger, Durst, Schmerzlinderung, Schlafen oder einfach Nähe.
Jemand, der einen festhält und einen streichelt.

Ist das nicht vielleicht etwas nachvollziehbar?

Jetzt stellen wir uns folgendes vor: Ihr wollt dass diese Fremden euch kuscheln und macht euch bemerkbar - sie sind auch da, das wisst ihr. Aber sie tun nichts. Sie gucken euch entweder nur aus der Distanz an oder schieben euch woanders hin und warten einfach bis ihr aufhört.

Was habt ihr da gelernt? Etwas sinnvolles? .. Ich denke nicht. Das einzige, was ein Baby in dem Moment registriert ist, dass keiner kommt. Dass es ALLEIN ist. Verlassen.

KEIN Baby weiß, dass es in seinem Bettchen sicher ist und ihm nichts passieren kann oder dass Mama und Papa nebenan sind und sie über das Babyphone hören (und vielleicht sogar sehen) können. Es denkt einfach, es ist allein und was würdet ihr fühlen, wenn ihr in einer fremden Umgebung allein wärt und nichts, aber auch gar nichts machen könntet außer hoffen dass jemand kommt?
Todesangst wahrscheinlich. Stress, Stress pur.

Lustigerweise gestehen wir unseren erwachsenen Körpern zu, dass sie noch ticken wie in der Urzeit (ich erinnere mich an diverse Diätartikel "Wenn Sie nichts mehr essen, denkt ihr Körper noch wie vor 10.000 Jahren, es sei Hungersnot und speichert die nächste Mahlzeit erst recht als Fett"). Dass Babies aber Ur-Ängste durchleben, weil ihr Gehirn nur weiß "Schreien, ich brauche Hilfe" und sonst GAR NICHTS, das wird einfach außer Acht gelassen?!

Es ist nachgewiesen, dass beim Schreien lassen des Kindes Stresshormone en masse ausgeschüttet werden.

Natürlich schläft das Baby danach - aber nicht weil es irgendetwas gelernt hat, sondern vor reiner Erschöpfung und es hat aufgegeben. Ich bezweifel mal, dass das erstrebenswert ist. Babies sind emotional, nicht rational.
Sie lernen über Emotionen. Ich will gar nicht zu sehr ins wissenschaftliche Detail gehen - dazu gibt es unter dem Suchbegriff "baby schreien lassen" bei unserem guten Freunde Google genug Treffer.

Ich habe nur von Anfang an versucht, mich in meine Tochter hinein zu versetzen. Was braucht sie JETZT, wenn sie schreit? Für mich als Mutter ist ihr Schreien unerträglich. Keine Sekunde könnte ich mir freiwillig mit anhören, wenn sie schreit. Es zerreißt mir das Herz. Ich will ihr helfen, ich MUSS ihr helfen.

Diesem Instinkt bin ich bisher immer nachgegangen und habe mich so auf mein Muttergefühl verlassen. Jetzt habe ich ein sehr ausgeglichenes Baby, das weiß, ich bin da, wenn sie mich braucht. Sie schreit nur - und auch wirklich nur dann - wenn sie wirklich etwas braucht oder Schmerzen hat. Babies schreien nicht aus Bösartigkeit oder weil sie jemanden kontrollieren wollen.

Jedes Bedürfnis meines Kindes will ich stillen, so schnell es geht. Und auch Mamis Nähe und Wärme spüren ist ein Bedürfnis, das sie haben darf, ja, sogar sollte.

Es wird der Tag kommen an dem sie nicht mit mir kuscheln will. An dem sie zu mir sagt: "Mama, lass das, du bist so peinlich." Bis dahin genieße ich ihre kuschlige Nähe, ich genieße die Momente, wenn sie auf mir einschläft und ganz ruhig atmet. Ich genieße, ihr Ruhepol zu sein, ihr Zuflucht, wenn sie runterkommen will.

Ich bin quasi der Außerirdische, der sie versteht und ihr gibt, was sie braucht. Das muss ein unglaubliches Gefühl für sie sein. "Da ist jemand, der mich versteht, dem ich nicht egal bin. Der mich vor den Gefahren der Welt (und in Babies Kopf ist erstmal alles gefährlich) beschützt."

Tipps hin oder her - man muss nicht jeden umsetzen. Zum Glück.

2 Kommentare:

  1. Hey,

    ich glaube, dass solche Tipps von Eltern kommen, die schon größere Kinder (mit einer fetten, ordentlichen Trotzphase) haben. Bei einer 3- oder 4-Jährigen würde ich auch nicht sofort angerannt kommen, wenn sie aus Protest kreischt.

    Aber das ist natürlich keine Rechtfertigung, ein Neugeborenes zu vernachlässigen - bin voll auf deiner Seite!

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  2. Lena, das hast du ganz schön geschrieben! Mit so viel Liebe & Herz! Du bist ein ganz tolle Mami! Mir kullern richtig die Tränchen, genauso sehe ich es und genauso fühle ich es! Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen!
    Mach weiter so!
    Franzi :)

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